Die Ausstellung wurde bis zum 01. Juni 2020 verlängert
Das Wort Fluidity meint Fließbarkeit, Flüssigkeit, Veränderbarkeit. Dementsprechend findet es Anwendung in unterschiedlichen Bereichen. In der Genderforschung ist es ein Begriff, der sich durch seine Ungreifbarkeit kennzeichnet. Denn er bezieht sich auf Formen der Geschlechterkonstitution, die von der Norm abweichen. Im Gegensatz zur Norm, die eindeutig und klar definierbar ist, sind jene uneindeutig und schwer fassbar. So ist der Versuch, eine normative Definition dessen, was fluid ist, festzulegen, nicht widerspruchfrei.
Aber was ist das Normative, wenn über Geschlechterkonstitution gesprochen wird? Das Normative ist die Vorstellung, dass der Mensch über ein angeborenes Geschlecht verfügt, und dass dieses so beschaffen ist, dass es Frauen und Männer gibt, deren Sexualität aufeinander bezogen ist, und das mit Notwendigkeit. Doch die Realität zeigt, dass die Kategorien Frau und Mann und damit die Matrix der Heterosexualität unvollständige Ordnungen sind. Es gibt nämlich Menschen, die der binären Logik, die dieser Vorstellung zugrunde liegt, nicht entsprechen. Die Philosophin Judith Butler formuliert es wie Folgt: „Die kulturelle Matrix, durch die die geschlechtlich bestimmte Identität intelligibel wird, schließt die ‚Existenz’ bestimmter ‚Identitäten’ aus, nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität nicht vom anatomischen Geschlecht herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ‚folgen’.“ (Gender Trouble, 1990)
Der heute allbekannte Begriff ‚Homosexualität’ wurde zum ersten Mal im Jahr 1868 benutzt und zwei Jahre später in den medizinischen Diskurs eingeführt. Mit der Erfindung dieses Wortes ging die Erfindung des Wortes ‚Heterosexualität’ einher. Damit geschah etwas ganz Eigenartiges: Man konstruierte die Normalität und die Abnormalität. Und das völlig unabhängig davon, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen nicht nur in allen Kulturen, sondern auch in allen geschichtlichen Epochen reichlich vorhanden waren.
Das Problematische an diesen sprachlichen Erfindungen war nicht in erster Linie die bedürftige Konzeptualisierung von Phänomenen, sondern die juristische und moralische Verurteilung, die daran gekoppelt wurde, und vor allem die medizinische Zuschreibung, die das Divergente zu etwas Pathologischem konstruierte. Dass damit Beziehungen von Privileg und Macht verbunden sind, erweist sich als offensichtlich.
Der Energieaustausch zwischen den verschiedenen Kräften der Gesellschaft erlebte im 20. Jahrhundert sehr unterschiedliche Momente. Die Beziehung zwischen dem, was als geschlechtsnormativ gilt, und dem, was davon abweicht, zeigt es deutlich. Einen Meilenstein in diesem Zusammenhang stellen die Ereignisse dar, die in Verbindung mit dem Wort ‚Stonewall–Inn’ stehen, dem Namen einer New Yorker Bar, in der 1969 ein Aufstand von nicht–heteronormativen Subjekten gegen die willkürliche herabwürdigende Behandlung durch die Staatsmacht begann. Damit wird der Beginn der Homo–Befreiungsbewegung markiert.
Diese Bewegung löste bedeutende Transformationsprozesse aus. Sie setzte sich für die politische und persönliche Legitimität und Anerkennung der Individuen ein, die den Bestimmungen der Heteronormativität nicht entsprachen. Sie setzte sich für deren Rechte ein und damit für deren Repräsentation und Sichtbarkeit in der herrschenden Kultur. Sie richtete sich also gegen jene Strukturen, die das Fortbestehen von Ungleichheit und Unterdrückung sicherstellen.
Die Erfolge dieser Bewegung sind unübersehbar. Denn sie erreichte viel nicht nur für die Legitimität und Anerkennung von nicht–heteronormativen Subjekten, sondern auch dafür, dass sich Identitäten entlang deren Interessen öffentlich entfalten konnten. Diese werden mit Bezeichnungen wie lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell gekennzeichnet.
Die Behauptung von Identitäten war ein zentrales Instrument, um Ziele zu erreichen. Es diente der politischen Intervention und der Selbstermächtigung. Eine Konsequenz davon war allerdings die Bildung normativer Identitätskategorien. Und mit der Normierung identitätsstiftender Kategorien gingen Zentralisierungs– und Marginalisierungsprozesse einher. Dies führte zu Spaltungen innerhalb der Communities von nicht–heteronormativen Subjekten.
Die Entstehung der Queer Theorie in den 1990er Jahren eröffnete neue Entfaltungsräume für die Geschlechterdivergenz. Räume, die nicht an die Normativität von Kategorien gebunden sind, sondern an Faktoren wie Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. In diesem Kontext gewinnt die Vorstellung eines fluiden Selbst an Bedeutung, als eine indeterminierte Form geschlechtlicher Existenz, die den binären Rahmen der Geschlechterkonstruktion sprengt, ohne sich dabei als Gegenpol zu konstruieren.
Trotz der immensen Erfolge der Geschlechterdivergenz im Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung im 20. Jahrhundert besteht immer noch Aufklärungsbedarf in breiteren Kreisen der Gesellschaft. Denn diese Erfolge bedeuten nicht automatisch, dass ein allgemeiner Zerfall restriktiver Denkmodelle stattgefunden hat. Zudem besteht immer noch ein Unterschied in dem Aufwand, der bei dem Konstitutionsvorgang des geschlechtlichen Selbst geleistet wird. Während das heterosexuelle Subjekt seine Identität entlang einer der Natur zugeschriebenen Norm konstruiert, muss das deviante Subjekt die Macht der Norm bewältigen und dazu noch eine für seine eigene Existenz adäquate Identität bilden.
Es ist ein zentrales Anliegen zahlreicher Künstlerinnen und Künstler, die die heteronormativen Erwartungen an ihre Geschlechterrollen nicht erfüllen, sich kritisch mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Mit ihrer Arbeit beteiligen sie sich nicht nur an den historischen und ästhetischen Entfaltungsprozessen der Kunst, sondern sie treten auch für die Legitimität der Geschlechterdivergenz ein und problematisieren Machtverhältnisse. Denn Kunst besitzt die Fähigkeit, über die Angelegenheiten von Mensch und Gesellschaft zu reflektieren, und zwar mit ihren eigenen Mitteln.
Die Ausstellung Fluidity schafft einen Rahmen für Positionen der zeitgenössischen Kunst, die das Spektrum der Geschlechterdivergenz artikulieren. Positionen, die Gewissheiten über Geschlecht, Sexualität und Begehren aufheben und zu Tage fördern, dass die gängigen Identitätskategorien Mann und Frau, heterosexuell und homosexuell keine Ausschließlichkeit beanspruchen können.
Anhand der Arbeit von Loren Britton, Cassils, Shu Lea Cheang, Zackary Drucker, Alicia Frankovich, Philipp Gufler, Maryna Makarenko, Tejal Shah und Ming Wong richtet sich die Ausstellung auf einen Bereich, der trotz seiner Bedeutung immer noch zögerlich und selektiv wahrgenommen wird. Die neun eingeladenen Positionen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen und artikulieren verschiedene Diskurse. Ihre Anliegen bewegen sich zwischen Repräsentation, Selbstermächtigung und Gesellschaftskritik. Anstatt den Diskurs des Normativen durch Affirmation oder Verneinung zu reproduzieren, destabilisieren sie das Erwartungssystem der Normalität. Dabei zeigen sie die Pluralität und das Vermögen der zeitgenössischen Kunst im globalen Kontext.
Gefördert durch
Landschaftsverband Weser-Hunte e.V., Stiftung Niedersachsen, die Karin und Uwe Hollweg Stiftung, Waldemar Koch Stiftung, die Stadt Syke, Ifa – Institut für Auslandbeziehungen, Video Data Bank at the School of the Art Institute of Chicago.
Die Ausstellung wurde bis zum 01. Juni 2020 verlängert
Das Wort Fluidity meint Fließbarkeit, Flüssigkeit, Veränderbarkeit. Dementsprechend findet es Anwendung in unterschiedlichen Bereichen. In der Genderforschung ist es ein Begriff, der sich durch seine Ungreifbarkeit kennzeichnet. Denn er bezieht sich auf Formen der Geschlechterkonstitution, die von der Norm abweichen. Im Gegensatz zur Norm, die eindeutig und klar definierbar ist, sind jene uneindeutig und schwer fassbar. So ist der Versuch, eine normative Definition dessen, was fluid ist, festzulegen, nicht widerspruchfrei.
Aber was ist das Normative, wenn über Geschlechterkonstitution gesprochen wird? Das Normative ist die Vorstellung, dass der Mensch über ein angeborenes Geschlecht verfügt, und dass dieses so beschaffen ist, dass es Frauen und Männer gibt, deren Sexualität aufeinander bezogen ist, und das mit Notwendigkeit. Doch die Realität zeigt, dass die Kategorien Frau und Mann und damit die Matrix der Heterosexualität unvollständige Ordnungen sind. Es gibt nämlich Menschen, die der binären Logik, die dieser Vorstellung zugrunde liegt, nicht entsprechen. Die Philosophin Judith Butler formuliert es wie Folgt: „Die kulturelle Matrix, durch die die geschlechtlich bestimmte Identität intelligibel wird, schließt die ‚Existenz’ bestimmter ‚Identitäten’ aus, nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität nicht vom anatomischen Geschlecht herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ‚folgen’.“ (Gender Trouble, 1990)
Der heute allbekannte Begriff ‚Homosexualität’ wurde zum ersten Mal im Jahr 1868 benutzt und zwei Jahre später in den medizinischen Diskurs eingeführt. Mit der Erfindung dieses Wortes ging die Erfindung des Wortes ‚Heterosexualität’ einher. Damit geschah etwas ganz Eigenartiges: Man konstruierte die Normalität und die Abnormalität. Und das völlig unabhängig davon, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen nicht nur in allen Kulturen, sondern auch in allen geschichtlichen Epochen reichlich vorhanden waren.
Das Problematische an diesen sprachlichen Erfindungen war nicht in erster Linie die bedürftige Konzeptualisierung von Phänomenen, sondern die juristische und moralische Verurteilung, die daran gekoppelt wurde, und vor allem die medizinische Zuschreibung, die das Divergente zu etwas Pathologischem konstruierte. Dass damit Beziehungen von Privileg und Macht verbunden sind, erweist sich als offensichtlich.
Der Energieaustausch zwischen den verschiedenen Kräften der Gesellschaft erlebte im 20. Jahrhundert sehr unterschiedliche Momente. Die Beziehung zwischen dem, was als geschlechtsnormativ gilt, und dem, was davon abweicht, zeigt es deutlich. Einen Meilenstein in diesem Zusammenhang stellen die Ereignisse dar, die in Verbindung mit dem Wort ‚Stonewall–Inn’ stehen, dem Namen einer New Yorker Bar, in der 1969 ein Aufstand von nicht–heteronormativen Subjekten gegen die willkürliche herabwürdigende Behandlung durch die Staatsmacht begann. Damit wird der Beginn der Homo–Befreiungsbewegung markiert.
Diese Bewegung löste bedeutende Transformationsprozesse aus. Sie setzte sich für die politische und persönliche Legitimität und Anerkennung der Individuen ein, die den Bestimmungen der Heteronormativität nicht entsprachen. Sie setzte sich für deren Rechte ein und damit für deren Repräsentation und Sichtbarkeit in der herrschenden Kultur. Sie richtete sich also gegen jene Strukturen, die das Fortbestehen von Ungleichheit und Unterdrückung sicherstellen.
Die Erfolge dieser Bewegung sind unübersehbar. Denn sie erreichte viel nicht nur für die Legitimität und Anerkennung von nicht–heteronormativen Subjekten, sondern auch dafür, dass sich Identitäten entlang deren Interessen öffentlich entfalten konnten. Diese werden mit Bezeichnungen wie lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell gekennzeichnet.
Die Behauptung von Identitäten war ein zentrales Instrument, um Ziele zu erreichen. Es diente der politischen Intervention und der Selbstermächtigung. Eine Konsequenz davon war allerdings die Bildung normativer Identitätskategorien. Und mit der Normierung identitätsstiftender Kategorien gingen Zentralisierungs– und Marginalisierungsprozesse einher. Dies führte zu Spaltungen innerhalb der Communities von nicht–heteronormativen Subjekten.
Die Entstehung der Queer Theorie in den 1990er Jahren eröffnete neue Entfaltungsräume für die Geschlechterdivergenz. Räume, die nicht an die Normativität von Kategorien gebunden sind, sondern an Faktoren wie Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. In diesem Kontext gewinnt die Vorstellung eines fluiden Selbst an Bedeutung, als eine indeterminierte Form geschlechtlicher Existenz, die den binären Rahmen der Geschlechterkonstruktion sprengt, ohne sich dabei als Gegenpol zu konstruieren.
Trotz der immensen Erfolge der Geschlechterdivergenz im Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung im 20. Jahrhundert besteht immer noch Aufklärungsbedarf in breiteren Kreisen der Gesellschaft. Denn diese Erfolge bedeuten nicht automatisch, dass ein allgemeiner Zerfall restriktiver Denkmodelle stattgefunden hat. Zudem besteht immer noch ein Unterschied in dem Aufwand, der bei dem Konstitutionsvorgang des geschlechtlichen Selbst geleistet wird. Während das heterosexuelle Subjekt seine Identität entlang einer der Natur zugeschriebenen Norm konstruiert, muss das deviante Subjekt die Macht der Norm bewältigen und dazu noch eine für seine eigene Existenz adäquate Identität bilden.
Es ist ein zentrales Anliegen zahlreicher Künstlerinnen und Künstler, die die heteronormativen Erwartungen an ihre Geschlechterrollen nicht erfüllen, sich kritisch mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Mit ihrer Arbeit beteiligen sie sich nicht nur an den historischen und ästhetischen Entfaltungsprozessen der Kunst, sondern sie treten auch für die Legitimität der Geschlechterdivergenz ein und problematisieren Machtverhältnisse. Denn Kunst besitzt die Fähigkeit, über die Angelegenheiten von Mensch und Gesellschaft zu reflektieren, und zwar mit ihren eigenen Mitteln.
Die Ausstellung Fluidity schafft einen Rahmen für Positionen der zeitgenössischen Kunst, die das Spektrum der Geschlechterdivergenz artikulieren. Positionen, die Gewissheiten über Geschlecht, Sexualität und Begehren aufheben und zu Tage fördern, dass die gängigen Identitätskategorien Mann und Frau, heterosexuell und homosexuell keine Ausschließlichkeit beanspruchen können.
Anhand der Arbeit von Loren Britton, Cassils, Shu Lea Cheang, Zackary Drucker, Alicia Frankovich, Philipp Gufler, Maryna Makarenko, Tejal Shah und Ming Wong richtet sich die Ausstellung auf einen Bereich, der trotz seiner Bedeutung immer noch zögerlich und selektiv wahrgenommen wird. Die neun eingeladenen Positionen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen und artikulieren verschiedene Diskurse. Ihre Anliegen bewegen sich zwischen Repräsentation, Selbstermächtigung und Gesellschaftskritik. Anstatt den Diskurs des Normativen durch Affirmation oder Verneinung zu reproduzieren, destabilisieren sie das Erwartungssystem der Normalität. Dabei zeigen sie die Pluralität und das Vermögen der zeitgenössischen Kunst im globalen Kontext.
Der internationale Charakter der Ausstellung, der sich in den Herkunftsländern der beteiligten Künstlerinnen und Künstler widerspiegelt – sie stammen aus Canada, Deutschland, Indien, Neuseeland, Singapur, Taiwan, der Ukraine und den USA – unterstreicht die Tatsache, dass die Geschlechterdivergenz eine kulturell unabhängige, grenzüberschreitende Angelegenheit ist.
Gefördert durch
Landschaftsverband Weser-Hunte e.V., Stiftung Niedersachsen, die Karin und Uwe Hollweg Stiftung, Waldemar Koch Stiftung, die Stadt Syke, Ifa – Institut für Auslandbeziehungen, Video Data Bank at the School of the Art Institute of Chicago.